Des Christen Leben und Lehre |
Die Kirche und ihr Herr
„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“ - Mt.18:20
Eigentlich ein geheimnisvolles und rätselhaftes Wort! Aber es paßt zu dem anderen: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ - Mt.28:20
So hat Jesus die Macht, bei Zweien oder Dreien - und gleichzeitig an einem ganz anderen Ort gegenwärtig zu sein - und auch „bei euch“ - bei allen zusammen, gleichzeitig zu sein. Es ist klar, daß Er geistig bei uns ist, daß wir durch eine „Leitung“ mit Ihm verbunden sind. Seitdem wir das Radio kennen, ist uns eine solche Möglichkeit sehr anschaulich geworden.
Wenn zwei Bekenner, beispielsweise ein Katholik und ein Protestant - oder ein Bibelforscher und ein Baptist einander begegnen und ein bißchen stehenbleiben, um zu plaudern - ist Jesus dann unter ihnen? Das ist nicht sicher! Ist Er unter uns, wenn wir einander Hausbesuche machen, um ein Plauderstündchen miteinander zu halten? Oder wenn wir einander zum Essen einladen? Auch das ist nicht sicher. Ist Er unter ihnen, wenn Christen verschiedener Denominationen in einer Versammlung zusammenkommen? Sogar das ist nicht ganz sicher.
Beachten wir, daß nicht nur „Versammeltsein“ die Voraussetzung für Seine Gegenwart ist, sondern daß es heißt: „ i n m e i n e m N a m e n.“ Was bedeutet das?
Wir sollen zusammenkommen im A u f t r a g des Herrn, gedrängt durch die Liebe Christi; im Bedürfnis nach einer Glaubensstärkung. Im Bedürfnis nach geistiger Gemeinschaft mit dem Herrn in der Wahrheit; im Verlangen, einander zu helfen, aus der Um- strickung der Welt herauszukommen - und den Herrn geistig zu sehen; im Verlangen auch, in der Gemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern die neue Christengemeinde zu entwickeln, den Christus-Leib zu gestalten. D a s heißt, im Namen Christi zusammenzukommen. Der Christus drängt mich, und Er drängt dich - und den Dritten und den Vierten usw. Dann ist es tröstlich zu w i s s e n, daß der Herr mitten unter uns ist, und zwar als Herr, als Meister und Hauptperson, nach deren Willen nun das geredet wird, was geredet werden soll, und das beschlossen wird, was beschlossen werden soll - und das ausgerichtet-. wird, was ausgerichtet werden soll.
Aber das ist oftmals nicht genau das, was ich oder du - oder Er gemeint haben, daß es hätte gesprochen, beschlossen und ausgerichtet werden sollen; sondern oft ist es etwas ganz anderes - und vielleicht das Gegenteil davon.
Ja, wenn ich in der besten Absicht und voller heiligen Eifers etwas vorgebracht oder vorgeschlagen habe, wird dies in der Gemeinschaft oftmals nicht verstanden und nicht beschlossen und nicht ausgeführt, und ich kann unter dem Eindruck stehen, daß nun der Wille des Herrn nicht zu seinem Recht gekommen ist. Das ist aber falsch. So ist es auch mit dem, was geredet wird. Wir gehen mit bestimmten Erwartungen in die Versammlung, die vielleicht dann nicht befriedigt werden. Dafür aber sind die Erwartungen von anderen befriedigt worden, und d a s war des Herrn Absicht. Seine Gedanken sind so viel höher als unsere Gedanken, wie der Himmel höher ist als die Erde. Lassen wir also den Herrn gewähren!
Natürlich kann auch dieser oder jener in die Versammlung des Herrn kommen, der nicht im Auftrag unseres Herrn kommt, sondern im Auftrag eines anderen Herrn, der die Gemeinde Christi stören möchte. Er will die Schafe des Herrn zerstreuen und einschüchtern. Ein „Wolf“ kann in die Hürde kommen, oder sogar mehrere „Wölfe.“
Wird jetzt unser Herr Jesus auch mitten unter ihnen sein? Natürlich, jetzt erst recht! Und wenn in einer großen Versammlung eben nur zwei oder drei sich im Auftrag und im Namen des Herrn eingefunden hätten, wird der Herr doch mitten unter ihnen sein; denn Er ist der „gute Hirte“, und Er verläßt Seine Schafe nicht, wenn der Wolf kommt, sondern er beschützt und errettet sie. Die Wölfe können ein schlimmes Geheul anstellen; aber Jesus ist mit den Zweien oder Dreien, die in Seinem Namen gekommen sind, und sie werden sich der Gemeinschaft mit ihrem Herrn und Meister doch erfreuen, und die „Wölfe“ erreichen ihr Ziel nicht.
„Sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand kann sie aus meiner Hand rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben.“ (Joh.10:28,29) Wir sollen also keine Angst vor „Wölfen“ haben.
Aber das ist ja nicht der gewöhnliche Fall, daß sich Wölfe unter eine Schafherde begeben. Für gewöhnlich dürfen sie garnicht herein, sondern der „gute Hirte“ führt Seine Ihm anvertrauten Schafe auf gute Weide und sorgt für ihre Sicherheit und Ernährung. Und Er ist mitten unter ihnen, Er ist Mittelpunkt. Nun ist die Frage: Zu welchem Zweck ist der Herr unter ihnen? Um zuzuhören, was sie reden? Wie sie Ihn loben und erheben? Oder um zu erfahren, wie sie über Ihn denken? Was für Ansichten sie sich über Seine Worte gebildet haben? Nein, wir haben es schon gesagt. Er ist als L e i t e r unter ihnen. Er leitet sie auf grüne Wiesen und zu frischen Wassern. Er fördert sie in ihrem Glauben, Er möchte ihnen helfen, zu besserem Verständnis zu gelangen. Er korrigiert ihre Fehler, ihre Einseitigkeiten, „Irrtümer“; Er lobt und ermutigt, wie wir aus den sieben Sendschreiben der Offenbarung sehen, und Er tadelt und warnt auch. Er tröstet und richtet auf, und er demütigt und beschneidet die Reben. Er reinigt sie. Er erleuchtet und fördert und g e s t a l t e t i n d e r G e m e i n d e d e n C h r i s t u s. Er stellt auch Aufgaben und prüft uns.
Seht, darum ist die Rede von Zweien oder Dreien: Das Werk des Herrn ist die Kirche, der Christusleib. Der Herr will nicht Christusse bilden; Er will d e n C h r i s t u s. Er hat es nicht mit dem Einzelnen zu tun, sondern mit der Gemeinde, dem Ganzen.
Haben wir denn als Einzelne keinen Anspruch auf den Herrn? Haben wir keine Gemeinschaft mit Ihm? Ja und nein! Wenn du keine Möglichkeit der Gemeinschaft hast, aber doch ein Verlangen nach ihr, dann kann der Herr dich auch in der Einsamkeit aufsuchen, und du kannst dich Seiner Gemeinschaft erfreuen, aber nur so lange, als es für dich eine Möglichkeit nach Gemeinschaft mit Brüdern nicht gibt.
Wenn sich aber jemand stolz von jeder Brüdergemeinschaft zurückziehen wollte in dem Gedanken: Ich brauche euch nicht; „ich habe meinen Heiland, und das genügt mir“, dann befände sich dieser in einem großen Irrtum. Die Gesinnung Christi ist Gemeinschaftsgesinnung - oder es ist nicht die Gesinnung Christi! Wie könnten wir auch nur Liebe und Demut betätigen, wenn wir keine Gemeinschaft mit Glaubensgeschwistern haben?
Man wird vielleicht sagen: Ich kann mich der Welt gegenüber als Christ betätigen; ich kann der Welt ein Zeugnis geben! Aber das ist nicht die Meinung des Herrn. Er will in diesem Zeitalter seine Kirche aufbauen - und nicht die Welt beglücken; er will der Welt ein Zeugnis geben durch seine Kirche, und nicht durch private Christusse. Und die Welt wird dieses Zeugnis der Kirche hören - und verachten, wie sie das Zeugnis des Herrn seinerzeit gehört und verschmäht hat. Jesus sagt:
„Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ - Joh.13:35.
Also die Gemeinschaft des Christus gibt das Zeugnis, und nicht nur der Einzelne; oder dieser nur insofern, als er sich zu der mißachteten, gehaßten und verfolgten Gemeinde des Herrn bekennt.
Der „Christus in uns“ kann nur in der Gemeinschaft wachsen und gestaltet werden - niemals in der selbstgewählten Isolierung. Darum: „Wo wenigstens zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind … .“ Keiner kann ganz allein auf dem schmalen Wege vorwärts kommen. Es wäre so, wie wenn jemand Mathematik studieren wollte ohne Lehrer und ohne Bücher. Er müßte notwendigerweise in den Anfängen und in vielen Irrtümern steckenbleiben. Wir b r a u c h e n einander; wir brauchen den Stärkeren und wir brauchen den Schwächeren, ja, sogar den Allerschwächsten. Paulus zeigt das ja sehr deutlich, wenn er den Christus als einen Leib mit vielen Gliedern darstellt. Wir können es nicht besser sagen, als es Paulus gesagt hat:
„Denn der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht Hand bin, so bin ich nicht von dem Leibe; ist er deswegen nicht von dem Leibe? Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn ganz Gehör, wo wäre der Geruch? Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen, wie es ihm gefallen hat. Wenn aber alle e i n Glied wären, wo wäre der Leib? Nun aber sind die Glieder zwar viele, der Leib aber ist einer. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich bedarf deiner nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich bedarf eurer nicht; sondern vielmehr die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, sind notwendig; und die uns die unehrbaren des Leibes zu sein dünken, diese umgeben wir mit reichlicherer Ehre; und unsere nichtanständigen haben desto reichlichere Wohlanständigkeit; unsere wohlanständigen aber bedürfen es nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt, indem er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben hat, auf daß keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander haben möchten. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder insonderheit.“ - 1.Kor.12:14-27.
Der Schwache braucht den Starken, und der Starke braucht den Schwachen; der eine ist dem anderen gleich notwendig. Wir brauchen den Schwachen, um uns seinem einfältigen Sinn a n z u p a s s e n und Geduld zu lernen, wenn wir ihm die hohen Gedanken Gottes verständlich machen sollen. Das nötigt uns zu einfacher und klarer, bildlicher Ausdrucksweise. Wie hat der Herr zu den Ungebildeten und Unmündigen zu sprechen verstanden! Die Geheimnisse des Reiches, in einer Geheimsprache - und doch haben Ihn diese einfachen Leute, Fischer und Zöllner und sogar manchmal auch die breite Volksmasse verstanden.
„Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart.“ - Mt.11:25
Wie redete der Herr?
„Da nahm der Herr Brot, segnete es und sprach: Nehmet, esset, dieses ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte und gab ihnen denselben und sprach: Trinket alle daraus. Denn dies ist mein Blut, das des neuen Bundes, welches für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“
Könnte man das tiefste Geheimnis des göttlichen Planes einfacher und anschaulicher aussprechen? Wie wunderbar sind die Gleichnisse des Herrn! Wie offenbaren sie die Geheimnisse des Lebens, der Welt und ihrer Beziehung zu Gott! Aber diese Geheimsprache wurde von den „Weisen und Verständigen“ nicht verstanden; und sie wird von ihnen noch heute nicht verstanden - und s o l l nicht verstanden werden, denn: „Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören noch verstehen.“ - Mt.13:13 Das Problem der wahren Kirche Christi ist das Problem der A n p a s s u n g. Gemeinschaft unter vielen kommt zustande durch Anpassung und Ausgleichung und Angleichung. Der Herr führt sie zusammen, die so sehr Verschiedenen - an Stand, Alter, Erziehung, Lebensgewohnheiten, Intelligenz und Bildung von so Ungleichen, damit sie lernen, eine Gemeinschaft zu bilden. Keiner ist für sich da; alle dienen allen, indem sie dem Herrn dienen; und sie dienen dem Herrn, indem sie allen dienen. Wir müssen lernen, für die charakterlichen Verschiedenheiten unserer Geschwister Verständnis aufzubringen, wie wir es auch von ihnen erhoffen, daß sie auch für unsere eigenen Schwachheiten Nachsicht haben können.
Ist es nicht bedeutungsvoll, daß der heutige Judenstaat mit genau den gleichen Problemen zu ringen hat? Juden aus aller Welt, mit sprachlichen Verschiedenheiten, unterschiedlichen Glaubens- und Unglaubensrichtungen, auch völlig ungleichen Bildungsgraden, lassen fast unvereinbare Gegensätze und größte Widersprüche entstehen. Heute sind sie zusammengeworfen auf einem schmalen Erdenfleck - und sollen eine nationale Einheit lernen. Kein Wunder, daß es da gelegentlich brodelt wie in einem Hexenkessel. Aber die „feindliche Welt“ nötigt diese Juden zum Zusammenschluß. Wird das Problem der lebendigen Einheit“ von ihnen gelöst werden können? Wir glauben es nicht. Dazu muß zuerst der „Lebens-Odem“ in die „Totengebeine“ einströmen; dann werden sie - ob wenige oder viele - stark sein, ja, unüberwindlich. - Hes.Kap.37.
Ähnliches gilt von der Christenheit. Wie viele meinen, die Z a h l mache die Kirche, die Zahl mache die „Sekte“. Es ist aber der G e i s t, der die wahre „Kirche“ macht, und der Ungeist, der die Sekte macht. Darum gibt es Sekten mit Millionen von Anhängern., d o c h n u r e i n e K i r c h e C h r i s t i. Sie ist unerkannt von der Welt, unsichtbar; d e r H e r r kennt sie.
Dennoch hat sie ihre Zusammenkünfte, und - wenn zwei öder drei im Geiste Christi zusammenkommen, - dann ist der Herr unter ihnen. Er, der Baumeister Seines Tempels, behaut die Steine im Verborgenen - und macht Bausteine Seiner Kirche aus ihnen; Er macht sie passend für d e n Platz, den sie in Seinem „Bauwerk“ einnehmen sollen.
Hiobs sich ihre eigene geistige Sicherheit bedroht fühlt, vergessen sie über dem Eifer der Verteidigung ihrer Glaubenssicherheit die Rücksicht auf den leidenden Freund.
Der Fanatismus, die Selbstsucht ihrer Gesinnung tritt grell zutage. Der Geist Satans - und nicht der Geist Gottes redet aus ihnen. Aus der Verurteilung der Freunde Hiobs sollten die Gläubigen eine ernste Warnung gewinnen: Steckt nicht sehr leicht in unserem religiösen Eifer etwas von dem Egoismus und der Engherzigkeit der „Freunde“? Wie könnte es so viel Streit und Erbitterung, so viel gegenseitige Verletzung und Verwundung in der Erörterung von Glaubensfragen geben, wenn nicht gar leicht eine geistige Selbstsucht hineinspielte, die nicht aus Gott, sondern aus dem Geist des Widersachers ist? Und daß aus diesem Geiste nur Irrtum gefördert wird, das braucht uns nicht zu verwundern.
Seien wir daher achtsam, daß wir nicht unsere Privatvorstellungen von Gott, nicht unsere „Hausgötter“ oder Hausgötzen, sondern den allein wahren, lebendigen Himmlischen Vater verteidigen. Und wie dürfte in diesem Kampf die Liebe fehlen? Auch das wollen wir wahrnehmen, daß wir nicht einfach den Mißerfolg als einen Beweis der Ungnade Gottes zu verstehen haben - so wenig wie den Erfolg oder das Wohlergehen für einen Beweis Seiner Gunst.